Gedankenimpuls

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Der Gedankenimpuls

Mehr Durchblick!

Ich sitze an meinem Schreibtisch und schaue nach draußen. Die Fenster sind frisch geputzt. Vorher war die Scheibe verschmiert mit einem Taubenabdruck, Staub und sonstige nicht identifizierbare Flecken. Wenn sich zu viel ansammelt, gibt es irgendwann keinen Durchblick mehr. Ich mache im Winter an jedem Wochenende die Glasscheibe des Kamins sauber, damit ich das Feuer in aller Lebendigkeit züngeln sehen darf. Wenn die Scheiben im Auto verschmiert sind, kann ich draußen die Dinge nicht mehr gut erkennen. Schilder werden unlesbar, Menschen und Gegenstände verlieren ihre Konturen und werden immer schemenhafter. Es ist wichtig, die Dinge so klar wie möglich zu erkennen, um passend reagieren zu können.

Ich sitze an meinem Schreibtisch und sehe die Dinge um mich herum direkt mit meinen Augen. Mein „Fensterglas“ habe ich abgesetzt, damit ich das direkte Sehen intensivieren kann. Wie ist das, wenn es zwischen mir und der Welt keine Scheibe gibt? Verändert das etwas? Im Empfinden, im Wahrnehmen, im Fühlen?

In meinem Beratungsbüro gibt es Milchglasscheiben. Sie dienen dem Schutz meiner Kunden. Niemand soll von außen hereinschauen können. Umgekehrt kann ich aber nicht mehr die Außenwelt wahrnehmen. Der Durchblick fehlt, aber es gibt immerhin Licht.

Was möchte ich mit diesem Bild ausdrücken? Worum geht es mir und was ist der Anlass, mit dir darüber nachzudenken?

In meinen Beratungen gibt es zunehmend Firmen, die ins Trudeln geraten. Da passieren mehrere Dinge gleichzeitig. Absätze gehen zurück, der Krankenstand steigt, Resignation breitet sich aus. Die Verantwortlichen, die eigentlich führen müssten, wirken ratlos.

Menschen, die eine Therapie brauchen, finden keinen Platz mehr und beim Therapeuten sitzen manchmal Menschen, für die eine Beratung ausreichend und passend wäre.

Ich gehe einkaufen und habe unüberschaubare Maßeinheiten mit Packungen von 65g, 90g, wo ich früher in glatten Zahlen rechnen durfte und vergleichen konnte.

Im agilen Arbeiten überblicken Teammitglieder nicht mehr das ganze Projekt, sondern nur Teile von Teilen. Sie machen etwas und hoffen, dass es am Ende passt.

Früher kam der Zug ein paar Minuten zu spät und das Thema war damit erledigt. Heute gibt es so viele Anlässe und Gründe für Zuspätkommen und Ausfälle, dass niemand mehr den Durchblick hat. Jeden Tag stehe ich am Bahnhof vereint mit allen und starre auf mein Smartphone, welche Chancen bestehen, heute zur Arbeit zu kommen.

In der Kirche treten seit Jahren die Menschen aus, nicht mehr die einzeln Entfremdeten, sondern die Massen. Die Leitung ist so beschäftigt mit Strukturreformen, dass die Vision vom Reich Gottes schon lange verloren gegangen scheint. Sie haben keinen Durchblick mehr, wohin es gehen soll.  

Wenn Ehepaare in der Krise sind, verlieren sie auch den Durchblick. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt denkt jeder noch: „Wir sind in der Krise, weil du…“ Wer eine gute Begründung hat, sieht auch schon den Ansatz zum Ausweg.

Doch was ist, wenn der Durchblick fehlt? Wenn ich keine Handhabe mehr habe. Wenn die Grundlagen nicht mehr passen, die früher so selbstverständlich waren. Wenn die gemeinsame Basis fehlt…

Es ist schwer auszuhalten, weil wir Menschen gerne Sicherheit haben. Es möge alles planbar sein, damit ich auch morgen noch lebe. Wenn sich die Sicherheitsgrundlagen verabschieden, öffnet das den Raum für die Angst. Wenn ich nicht mehr durchblicke, bin ich den möglichen Gefahren schutzlos ausgeliefert. Das erinnert mich an diese Virusgeschichte, wo auch viele den Durchblick verloren hatten. Die vertrauten „Grippe-Behandlungskonzepte“ wurden nicht mehr angewendet und die Alternativen waren noch in der Forschungsphase.

Wenn so viele Faktoren zusammenkommen und der Durchblick fehlt, macht es Sinn, das zu spüren und wahrzunehmen, was im Hier und Jetzt funktioniert. Während die Angst schon die Obdachlosigkeit und das Sterben herbeivisualisiert, sagt das Hier und Jetzt, dass es noch Brot gibt. Dass die Heizung noch funktioniert und dass ich von netten Menschen umgeben bin, die mit mir das Leben teilen. Ich habe noch ein paar Sicherheiten, die ich spüren kann. Zugleich darf ich mich im Aushalten einüben. Auftauchende Ängste akzeptieren, im fehlenden Durchblick die Standfestigkeit des Körpers überprüfen und vertieft atmen. Wir wünschen uns ein Leben in Harmonie, Freude und Liebe. Das habe ich im Augenblick nicht in diesem gewohnten Umfang wie bislang. Die „negativen“ Gefühle machen sich unangenehm bemerkbar und lassen sich nicht wegschieben. Ich kann mich im Aushalten einüben, das Unangenehme da sein lassen und damit atmen. Vielleicht geht sogar noch ein wenig mehr. Annehmen, liebhaben, wertschätzen, das Geschenk darin sehen…

Zugleich bleibt der Wunsch nach Durchblick, damit meine nächsten Schritte kraftvoller, zuversichtlicher, entschiedener und klarer werden.

Mein systemisches Denken weiß, dass jede Krise auf jeden Fall irgendwann ein Ende hat. Es kann gar nicht anders sein. Es wird neue Konzepte geben für den gesamten Therapiebereich, die jeden gut versorgen wird. Wir werden gesunde Produkte einkaufen, sehr ressourcenschonend und mit wenig Abfall. Die Bahn wird es schaffen, sich neu aufzustellen und wir werden mit ihr und völlig anderen Fortbewegungsmöglichkeiten noch mobil werden mit einer viel höheren Qualität. Paare werden zunehmend kompetenter werden, in ihrer Unterschiedlichkeit sich gegenseitig zu unterstützen und weiterzuentwickeln.

Die Kirche wird einen Weg finden jenseits aller Machtstrukturen und die Gegenwart Gottes auf völlig ungeahnte und neue Art und Weise auf die Welt bringen.

Hört sich das für dich utopisch an? Weltfremd? Ich lade dich ein zu einem alternativen Durchblick. Stell dir vor, du könntest durch die Wand schauen, auf die du gerade blickst. Tu einmal so, als könntest du jenseits deiner Mauer den dahinterliegenden Baum sehen. Fixiere mit deinen Augen den unsichtbaren Baum und tu so, als könntest du durch die Wand schauen. Damit hörst du auf, deine Augen auf einen Gegenstand zu fokussieren und du defokussierst. Du schaust zum Beispiel so, wenn du döst. Die Wand verliert ihre Konturen und du siehst nichts mehr speziell, sondern alles gleichzeitig im Raum. Wenn deine Augen alles gleichzeitig sehen, haften sie nirgendwo mehr fest und geben Anlass für einen konkreten Gedanken. Du nimmst einfach wahr, dass du siehst und dass du ein denkendes Wesen bist. Du erlebst einen Abstand zu dem, was dir konkret Sorgen und Nöte bereitet. Damit schaffst du die Grundlage dafür, dass eine andere Art von Durchblick überhaupt erst entstehen kann. Du verzichtest auf konkrete Denkarbeit, lässt alles los und wartest, dass die Lösung auf dich zukommen kann. Sie verbirgt sich irgendwo im Raum und darf gefunden werden in deiner Absichtslosigkeit. Es ist so ähnlich wie beim Duschen. Du hast ein Problem und kommst über das Nachdenken auf keine Lösung. Dann duschst du und denkst an nichts und plötzlich taucht eine Lösung auf, die sich durch Nachdenken nicht erschlossen hat.

Wenn dir also der Durchblick verloren gegangen ist und du in den Seilen hängst, wäre es gut, sich eine Auszeit zu gönnen. Du begibst dich in den Zustand des Dösens und machst nichts. Es ist allerdings ein zugleich absichtsloses und ausgerichtetes Nichtstun. Indem du mit deinen Augen defukussierst unterstützt du deinen Verstand, aus dem konkreten Problem/Lösungsdenken herauszukommen und nur noch wahrzunehmen. Dann kannst du Antworten nicht erzwingen, aber du erschaffst dir die Möglichkeit, dass ein Wunder geschehen kann. Wie beim Defussieren mit den Augen liegt die Lösung nicht im bekannten Raum, den du siehst, sondern in dem dir unsichtbaren Raum dahinter. Auf diesen Raum dahinter richtest du dich aus. Du wirst merken, dass es in dir ganz still wird. Der emotionale Wind legt sich, die Gedanken und Gefühle verebben und es entsteht Klarheit und Frieden – ohne dass du eine konkrete Lösung hast für deine Themen und Krisen.

So wünsche ich dir einen Durchblick, dass sich in deinem Leben die vielen kleinen und großen Wunder zeigen mögen wie ein Geschenk, für das du nicht arbeiten musst, sondern nur bereit bist zum Empfangen.

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