Gedankenimpuls

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Der Gedankenimpuls

Sei frühlingsfreudig!

Ich stehe vor dem Schaufenster einer Boutique und lese dort „frühlingsfreudig“. Das Wort bezieht sich auf eine Einladung, sich die Frühlingsmode anzuschauen und damit farbenfroh einzukleiden.

Ich bleibe beim Wort selbst stocken und lasse es in mir klingen. „Frühlingsfreudig!“ Dabei spüre ich, dass ich mich wie an einer Schwelle befinde. Ich nehme die ersten Blumen draußen wahr. Die Narzissen, Tulpen und Primeln und das erste zarte Grün der Sträucher und Bäume. Die Sonne gewinnt wieder Kraft und an windstillen Orten kann ich im Pullover sitzen. Dann wieder geht mein Blick zu den Bäumen, die sich noch im Winterschlaf befinden. Die Wolken ziehen auf, die Temperaturen werden wieder einstellig und meine Wintersachen liegen griffbereit für den Spaziergang. An der Schwelle zwischen Winter und Frühling begegne ich dem Wort „frühlingsfreudig“.

Ein Ruck und ein Erwachen gehen durch meinen Körper. Ach ja, der Winter geht wirklich vorbei und der Frühling klopft an die Tür und macht sich bemerkbar. Zugleich registriere ich das innere Zögern. Kann ich der Einladung trauen? Werde ich zunächst in die Wärme eingeladen und dann mit eiskaltem Wind bestraft, weil ich zu früh den Mantel weggehängt habe?

Ich frage mich, warum das Wort „frühlingsfreudig“ so hartnäckig bei mir anklopft. Ich wäre gerne frühlingsfreudig, bin es aber nicht so ganz. Ein wenig schon, aber eher verhalten. Mir stecken noch die Einschränkungen in den Knochen. Die sozialen Nachwirkungen des Virus. Die Skepsis gegenüber der Lebensfülle. Die fehlende Erlaubnis zur Freude angesichts der Kriegshandlungen, die immer noch stattfinden. Die Hand auf der Geldbörse angesichts der Inflation.

Ich stehe an der Schwelle zwischen Winter und Frühling und warte dort. Soll ich in den Frühling? In die Freude? In das Leben? Kann ich dem Ganzen trauen? Oder kommt da noch was? Wo lauert die nächste Krise?

Das Märchen vom „Wasser des Lebens“ der Gebrüder Grimm handelt von einem kranken König. Seine drei Söhne wollen ihm helfen, das lebensrettende Wasser zu finden. Dabei trifft der älteste Sohn einen Zwerg, den er unfreundlich behandelt. Dieser bestraft ihn so, dass der Weg sich wie eine Sackgasse anfühlt. Es geht weder vor noch zurück. Ebenso trifft es den zweiten Sohn. Der dritte Sohn ist freundlich dem Zwerg gegenüber und bekommt von ihm den Hinweis, wie er das Wasser des Lebens findet. Für den dritten Sohn öffnet sich der Weg und er kann am Ende den Vater retten.

An dieses Märchen denke ich gerade, wo ich an der Schwelle stehe. Ich stehe vor der Boutique in der spätwinterlichen Kälte und schaue auf die Schrift im Schaufenster „frühlingsfreudig“. Ich denke an die beiden Söhne im Märchen und es geht nicht vor und nicht zurück. Die ersten Söhne waren unfreundlich dem Zwerg gegenüber. Dabei kannte dieser die Lösung. Liegt da für mich eine Lösung verborgen?

Wenn ich an all die Krisen der letzten Monate denke, fühle ich mich wie die ersten beiden Söhne. Ich werde mürrisch und unfreundlich. Das dunkle Lebensgefühl breitet sich im Körper, in den Gedanken und im Gefühl aus. Die Söhne sehen im Zwerg nicht den Ratgeber, sondern den Zauberer, den Bösen und Unhold. Sie brauchen niemanden und nichts. Der dritte Sohn hingegen begegnet dem Zwerg mit Wohlwollen und Freundlichkeit. Was unterscheidet ihn von seinen Brüdern? Sein Vertrauen? Seine Sicht auf das Leben? Auf die Menschen?

In der Psychologie von C.G. Jung sind der König und die drei Söhne jeweils unterschiedlich innerpsychische Anteile von uns. Der oder die krankmachenden Anteile und die, die uns gesunden lassen. Ich kann also der kranke König, die kranke Königin sein mit Anteilen in mir, die diesen Teil verstärken und chronifizieren. Ich kann in mir aber auch den Teil anstupsen, der mich heiler und gesünder macht.

Ich stehe immer noch vor der Boutique mit der Einladung, frühlingsfreudig zu sein. Ich stehe dort mit den Anteilen des kranken Königs und seinen beiden älteren Söhnen. Ich kann mich aber auch verbinden mit dem jüngsten Sohn. Sackgasse oder Wagnis in eine lichtvollere Zukunft?

Je mehr ich mich auf den jungen Prinzen fokussiere, desto stärker wird die Erinnerung an den Frühling in mir lebendig. Bislang ist die Sonne immer wiedergekommen und hat die Natur zum Leben erweckt. Bislang gab es immer freundliche und zugewandte Menschen, die an die Liebe glaubten und diese umsetzten. Der junge Prinz lädt mich zur Entscheidung ein: „Siehst du die Fülle? Spürst du die Sonne? Atme tief ein und aus und sieh das Geschenk des Lebens! Du stehst auf der Sonnenseite! Höre nicht auf die Stimmen, die dir das Schlechte einreden. Lass den Winter Winter sein. Seine Tage sind gezählt. Er wird auch wiederkommen. Na und? So ist das Leben nun einmal! Wichtig ist, dass du im Vertrauen bleibst und in der Liebe! Das ist deine Aufgabe im Hier und Jetzt! Und? Siehst du die kleinen blühenden Blumen? Nimmst du das zarte Grün wahr? Dringen die Farben bis in dein Herz vor oder bleiben sie an der Mauer kleben, die du errichtet hast? Es liegt an dir! Ob du das Leben wie eine Sackgasse verstehst, hängt von deiner Sichtweise und deiner Blickrichtung ab. Sei frühlingsfreudig!“

Ich habe gerade das Bild von einem Kind in mir, das fällt und nun von der Mutter Zuwendung bekommt. Die ersten Momente fühlen sich noch sehr untröstlich an und die Worte der Ermutigung vonseiten der Mutter erreichen nicht das Herz des Kindes. Dann sehe ich, wie es im Kind wirkt. Als würde es innerlich das Geschehen im eigenen Rhythmus verarbeiten. Da gibt es einen Ruck, verstärkt durch die Worte der Mutter und eine Entscheidung, sich dem Leben wieder zuzuwenden.

Mögen deine vielen positiven Lebenserfahrungen dich bestärken und ermutigen, frühlingsfreudig in die nächsten Wochen zu gehen.

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